Rules of thumb in chess

Schach & Strategie: Leitfaden für Fortgeschrittene

Schach ist zweifellos eines der anspruchsvollsten und faszinierendsten Spiele, die in der Geschichte der Menschheit hervorgebracht wurden. Für den spielerischen Erfolg erfordert es nicht nur ein Verständnis für die grundlegenden Regeln, sondern auch ein umfassendes strategisches und taktisches Denken. Wer bereits die Grundzüge des Schachs beherrscht und nun den Wunsch hat, seine Fähigkeiten weiter auszubauen, der findet in meinem nachfolgenden Artikel hoffentlich ein paar neue Denkansätze.

In diesem Schach-Guide werden verschiedene Faustregeln betrachtet, die sich speziell an Spieler mit fortgeschrittenen Fähigkeiten richten. Sie basieren auf jahrzehntelanger Erfahrungen renommierter Schachspieler und auf ausführlichen Analysen, die über das Schachspiel aufgestellt wurden. Das Ziel dieser Regeln ist es, die Komplexität des Schachspiels zu senken und gleichzeitig das Treffen besserer Spielentscheidungen zu fördern. Hierbei soll insbesondere ein besseres Verständnis für die Positionierung der Schachfiguren geschaffen und das taktische Spiel auf eine Strategie ausgerichtet werden.

 

Finden des schwächsten Schachfeldes

Das schwächste Schachfeld zeichnet sich dadurch aus, dass es von keiner Schachfiguren verteidigt wird und somit eine Schwachstelle in der Verteidigung darstellt. Um einen Angriff erfolgreich einzuleiten, sollte daher stets auf schwache Schachfelder geachtet werden und diese in den Vorstoß mit eingebunden werden. Nachfolgend ein Beispiel:

Das schwächste Schachfeld wird von einem Springer erobert

Das schwächste Schachfeld wird von einem Springer erobert

In dieser Spielstellung ist das Schachfeld d5 geschwächt, da es nicht von einem schwarzen Bauern oder einer anderen Schachfigur von Schwarz verteidigt wird. Dies erlaubt es Weiß, mit seinem Springer in den Angriff zu ziehen und die Felder c7 und e7 zu bedrohen. Gleichzeitig ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Springer von seiner neuen Position verdrängt werden kann, da ihn kein Bauer angreifen kann, der Läufer eine andere Feldfarbe besetzt und der Turm von den eigenen schwarzen Bauern blockiert wird. Schwarz wird es schwer haben, sich im Endspiel durchzusetzen. Weiß kann hingegen ungehindert seinen Angriff über seine Bauern einleiten.

 

Entwicklung der schwächsten Schachfigur

Insbesondere in Spielsituationen, in denen einen Spieler nicht klar ist, welcher Schachzug als nächstes durchgeführt werden soll, gibt es das Gebot zur Entwicklung der schwächsten Schachfigur. Nach diesem Prinzip soll der Spieler nicht nach einem taktischen Manöver suchen, sondern die aktuelle Stellung seiner Schachfiguren analysieren und dann die Schachfigur bewegen, die den geringsten taktischen Nutzen bietet oder einfach nur gefährdet ist. Das Ziel des Schachzuges ist es dann, diese Schachfigur auf ein besseres Schachfeld zu bewegen und sie somit aktiver in das Spielgeschehen einzubinden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass keine akute Bedrohung vom Gegenspieler ausgeht, auf die reagiert werden muss.

Verbesserung des Läufers als schwächste Schachfigur

Verbesserung des Läufers als schwächste Schachfigur

In diesem Beispiel wird deutlich, dass der Läufer auf d2 nicht aktiv am Spiel teilnimmt. Mit dem Vorrücken des weißen Bauern auf b5 und der Drohung durch den Schachzug des Springers auf e6 ist Schwarz gezwungen zu handeln. Durch die spätere Positionierung des Läufers auf f7 verliert Schwarz chancenlos. Zwar hat die Einbindung des Läufers ein Bauernopfer erfordert. Dieses hat sich aber ausgezahlt.

 

Überprüfe die Stellung auf Röntgenangriffe

Sogenannte Röntgenangriffe sind verdeckte Angriffe, die sich erst durch den Abzug einer unbeteiligten Schachfigur offenbaren. Beispielsweise kann ein Läufer ein Schachgebot aufstellen, wenn zwischen ihm und den gegnerischen König ein Bauer steht, der ein Schachfeld nach vorne zieht. Wenn dieser Bauer dann ebenfalls eine Bedrohung aufstellt, ist der Verlust einer Schachfigur oftmals unausweichlich. Eröffnungen, die den Röntgenangriff strategisch nutzen, beinhalten in der Regel ein Fianchetto, bei dem der Läufer für Weiß auf b2 oder g2 und für Schwarz auf b7 oder g7 platziert wird. Der Läufer zielt aus diesen Positionen sowohl auf das Zentrum als auch auf einen gegnerischen Turm, sollte dieser noch nicht gezogen worden sein. Im Verlauf des Spiels hat der Läufer so eine optimale Position, um in das Spiel einzugreifen.

Fianchetto mit Röntgenangriff auf das Zentrum und den gegnerischen Turm

Fianchetto mit Röntgenangriff auf das Zentrum und den gegnerischen Turm

Es ist sinnvoll, bei jedem gegnerischen Schachzug zu analysieren, wie weit das Angriffspotenzial der bewegten Schachfigur reicht und wenn möglich, wichtige Schachfiguren wie die Dame oder gar den König aus dieser Angriffslinie herauszubewegen.

 

Angriff auf den Läufer des Königsfeldes

Der Gegnerische Läufer, der sich auf der Feld-Farbe des eigenen rochierten Königs bewegt, ist in der Regel der wertvollere von beiden Läufern. Langfristig hat dieser schließlich die Option, ein Schachgebot auf den König auszuführen. Zudem zählt der Läufer im Vergleich zum Springer generell als wertvoller.

Abtausch der Läufer mit Vorteil für Weiß

 Abtausch der Läufer mit Vorteil für Weiß

Sollte also ein Läufer, der auf der gleichen Feld-Farbe steht wie der eigene König, mit einen Springer geschlagen werden können, so kann daraus ein strategischer Vorteil gezogen werden. Gleich gilt auch umgekehrt. Sollte der Gegner einen Läufer verloren haben, so kann es strategisch klug sein, den eigenen König auf das Feld der Farbe eben diesen Läufers umzupositionieren.

 

Angriffe auf die Bauern

Viele Schachspieler schrecken davor zurück, ihren Angriff auf Bauern zu fokussieren. Es wird stets versucht, lieber einen Springer oder Läufer zu bedrohen, selbst wenn ein gegnerischer Bauer angreifbar und ungeschützt ist. Dabei ist der Angriff auf Bauern wichtig und sorgt schon früh für eine Schwächung der gegnerischen Bauernstruktur. Im Endspiel ist der Angriff auf Bauern sogar direkt spielentscheidend.

Angriff auf geschwächte Bauern im Endspiel

Angriff auf geschwächte Bauern im Endspiel

Zwar ist ein Bauer bei weitem nicht so wertvoll wie ein Läufer oder gar eine Dame, doch dafür ist er unbeweglich und kann nicht zurückweichen. Er stellt im Übergang zum Mittelspiel eine der häufigsten Schwachstellen dar und seine Verteidigung erfolgt stets zu Lasten der gegnerischen Strategie. Eine gute Übung ist es, sich für ein paar Spiele vorrangig auf das Schlagen von Bauern zu konzentrieren und dann zu analysieren, wie sich der Spielverlauf entwickelt hat.

 

Zusätzlicher Schutz durch Bauern

Schachfiguren, die einen Verteidiger und einen Angreifer haben, sind in der Regel gefährdeter als Schachfiguren, die weder verteidigt noch angegriffen werden. Das liegt daran, dass sie ihre Verteidiger an sich binden und von diesen abhängig sind. Der Verteidiger ist folglich inaktiv und kann nicht gezogen werden, ohne die andere Schachfigur ungeschützt zu hinterlassen. Um dies zu verhindern, sollte die Verteidigung von Schachfiguren wenn möglich doppelt erfolgen. Insbesondere, wenn die zu verteidigende Schachfigur auf einem taktisch wertvollen Schachfeld steht.

 

Kurze Schachzüge der Dame

Die Dame mag die stärkste Schachfigur sein, doch das heißt nicht, dass sie immer mit Schwung in den Angriff gezogen werden muss. Ein gut positionierte Dame bewegt sich auch auf kurze Distanz und oftmals auch nur auf das direkt angrenzende Nachbarfeld. Ein guter Grundsatz ist das Finden der stabilsten Linie auf dem Schachfeld. In der Regel ist dies eine geschlossene Linie, von der wenig Gefahr ausgeht, die aber ein diagonalen Angriff der Dame erlaubt. Da die Dame zudem erst bewegt werden sollte, nachdem alle Springer und Läufer ins Spiel gebracht wurden, kann ihre zunächst defensive Positionierung auch zur direkten Verteidigung offensiver Schachfiguren genutzt werden. Dieser zusätzliche Schutz ist bei der Berechnung eines Abtauschs von Schachfiguren oftmals entscheidend.

 

Überprüfung aller alternativen Schachzüge

Kandidatenzüge stellen eine Methode zur Berechnung von Schachzügen dar und wurden vom sowjetischen Großmeister Alexander Kotow definiert und beschrieben. Nach ihm besteht die Herausforderung im Schach darin, alle möglichen Schachzüge (Kandidatenzüge) zu ermitteln, diese dann durchzurechnen und schließlich den besten Schachzug auszuführen. Kotow definierte folgende Kategorien, die inzwischen von anderen Schachautoren weiter ausdefiniert wurden:

Schachgebote durch Schlagen

Es wird geprüft, ob durch das Schlagen einer Schachfigur ein Schachgebot und somit ein Zugzwang ausgelöst werde kann. Hierbei wird insbesondere das Opfern einer Schachfigur in Betracht gezogen, um das Schachgebot zu erzwingen.

Einfache Schachgebote

Wenn der gegnerische König angreifbar ist, wird überprüft, ob durch ein normales Schachgebot der König bedrängt oder gar Schachmatt gesetzt werden kann. Dies ist die gängigste Form eines Angriffs auf den gegnerischen König.

Schlagen von Schachfiguren

Hier wird geprüft, ob gegnerische Schachfiguren angreifbar sind und ohne Gegenwehr geschlagen werden können. Auch wird geprüft, ob das Abtauschen von verteidigten Schachfiguren strategisch sinnvoll sein kann.

Drohungen

Sowohl offensiv als auch defensiv wird geprüft, ob eine Drohung besteht, die aufgestellt werden kann oder abgewehrt werden muss. In der Eröffnungsphase ist das frühzeitige Erkennen einer gegnerischen Drohung wichtig. Mit den Übergang ins Mittelspiel und den eigenen Angriffsbemühungen wird dann auch das Aufstellen von Drohungen immer wichtiger.

Schachgebot, Schlagen von Schachfiguren und das Aufstellen von Drohungen

(1) Der Zugzwang des Königs kostet Schwarz seine Dame
(2) Die Dame wird geschützt und verdrängt den König auf h8, Schachmatt folgt
(3) Mit Schach auf den König kann Weiß den Läufer schlagen und abtauschen

 Die in diesem Artikel dargestellten Faustregeln können auch unter die Kategorisierung nach Kotow einsortiert werden, weshalb diese Struktur zunächst nur einer methodischen Übersicht dient. Die Lehre aus dem Konzept der Kandidatenzüge besteht darin, dass der Schachspieler in jeder Runde alle Kandidatenzüge überprüfen sollte ohne nachlässig zu werden. Nur so kann sichergestellt werden, Fehler zu minimieren und Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

 

Fazit

Die größte Herausforderung im Schach besteht darin, die Komplexität des Spiels effektiv und effizient zu handhaben. Faustregeln und Denkansätze, die die Komplexität verringern und so das taktische Spiel vereinfachen, sind unabdingbar, um sich auch selbst im Schach zu verbessern. Zwar kann nicht jede Faustregel zu jeder Zeit angewendet werden und muss stets kritisch hinterfragt werden. Doch zur Orientierung und zum Verständnis der Problemlösung können derartige Leitsätze sehr hilfreich sein. Dieser Artikel ergänzt meinen Schachbeitrag zu den Goldenen Eröffnungsregeln im Schach

 

Ich hoffe, mein Guide konnte dir dabei helfen, neue Ansätze zur Verbesserung deines Spielstils zu finden. Bei Fragen komme gerne jederzeit auf mich zu und schreibe mir über mein Kontaktformular.

Wenn du Schach auch auf dem Schachbrett spielst, schau doch einmal in meinem Sortiment an Staunton-Schachfiguren und Schachbrettern vorbei. Ich führe eine breite Auswahl an handverarbeiteten Produkten in Turnierformat.

 

Ich wünsche dir viel Spaß am Spiel, viel Erfolg und zügige Fortschritte beim Lernen.

Bis bald.

 

Stefan

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